Adeline Dieudonné: 23 Uhr 12

Adeline Dieudonné Credit Céline NIESZAWER/Leextra

Im Roman „23 Uhr 12 – Menschen in einer Nacht“ erzählt Adeline Dieudonné zwölf aufwühlend-skurrile Geschichten

Es ist noch vor Mitternacht und die Wege von zwölf Reisenden, einer Leiche und einem Pferd kreuzen sich auf einer Autobahntankstelle. Adeline Dieudonné startet in „23 Uhr 12 – Menschen in einer Nacht“ mit einer Momentaufnahme der nächtlichen Raststätten-Szenerie an einer Autobahn irgendwo in den Ardennen. Hier wird Benzin nachgefüllt, Proviant besorgt oder eine kurze Pause einlegt. Man trifft auf Nachtschwärmer, die eine Zigarette rauchen, einen Kaffee trinken, auf der Durchreise oder ohne festes Ziel sind. Jeder vom eigenen Schicksal an diese Raststätte geführt und mit sich selbst beschäftigt. Doch verflechten sich die Geschichten der Fremden, als eine alte Dame, Monica, vor ihren Augen über die Leitplanken klettert.

Schwarzhumorig, überraschend, verstörend

Es ist 23 Uhr 12, als der zusammengewürfelte Haufen überrascht beobachtet, wie Monica die schützende Abgrenzung in Richtung Fahrbahn überwindet. Die verschiedenen Blickwinkel der Anwesenden auf diese Szenerie sind Auftakt zu den traurigen, teils düster-skurrilen, teils komischen Schicksalen der Gestrandeten. Während die Autos vorbeifahren, erzählt Adeline Dieudonné die Geschichten der zwölf Menschen und deren Lebensreisen, die sie genau zu dieser Zeit an diesen Ort geführt haben. Diese sind unerhört und verstörend, verweben sich auf dieser Raststätte zu einem kurzen Intermezzo, um sich bei der Weiterreise wieder zu verlieren.      

Adeline Dieudonné blickt hinter die Fassade

Adeline Dieudonne 23 Uhr 12 Cover dtv

Die Auswahl der Gestrandeten ist auf den ersten Blick ein bunter Mix: eine  Pole-Dance-Lehrerin, ein Autoschlosser, eine ältere Dame mit ihrem Enkel und dessen Frau. Dazu ein Topmodel, ein Handelsvertreter und ein Reisender mit Pferdeanhänger. Ergänzt wird diese Runde mit einem Kindermädchen, einer Überlebenden eines Amoklaufs, der Kassiererin und einem Mitarbeiter der Raststätte. In Rückblicken erfährt man die prägenden Momente im Leben der Protagonisten und was hinter den sorgfältig  aufgebauten Fassaden schlummert. Und eins ist sicher: damit hat man wirklich nicht gerechnet.   

Absolut ungeschönt: menschliche Abgründe

Nichts bleibt unausgesprochen: mit klaren, unmissverständlichen Worten seziert Adeline Dieudonné die Abgründe der Protagonisten. Unvorstellbares wird durch die unverblümte, lebendige Sprache schonungslos offengelegt, ohne Tabus. Versteckte Geheimnisse, abscheuliche Angewohnheiten und persönliche Erfahrungen werden an die Oberfläche gezerrt. Adeline Dieudonné schafft es, Emotionen und Bilder zu erzeugen. Von Mitgefühl über Verständnis bis hin zu Abscheu. Fast schon fühlt sich der Leser wie ein Voyeur, verleiht doch die offene Erzählweise mehr als nur Kontur der Begebenheiten und Menschen.        

Adeline Dieudonné: 23 Uhr 12 – Menschen in einer Nacht

Ein Roman in zwölf Geschichten, das steht auf dem Cover von Adeline Dieudonnés neuestem Werk „23 Uhr 12 – Menschen in einer Nacht“. Und den Leser erwartet auch genau das: zwölf einzelne Geschichten von Menschen auf der Durchreise, die sich in dieser besagten Nacht vereinen. Durch die in der Summe überzeichnete Auswahl an Protagonisten und die schwarzhumorige Erzählweise wird klar, dass das Geschilderte fern der Realität zu einem Schmunzeln einlädt. So ist es auch zu verzeihen, dass die weiblichen Charaktere weitaus positiver weg kommen, als die männlichen Protagonisten.                

Adeline Dieudonné: „23 Uhr 12 – Menschen in einer Nacht“, dtv, aus dem Französischen von Sina de Malafosse, Hardcover, 176 Seiten, 978-3-423-29022-7, 18 Euro. (Beitragsbild von Céline Nieszawer / Leextra)

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